Vor allem in der Lyrik gewinnt die Phonostilistik eine erhöhte Bedeutung, wobei die Erscheinungen der Lautklänge, des Reims, der Metrik und des Rhythmus variiert werden können. Man unterscheidet zwischen der volltönigen und der nachlässigen Rede.
Als volltönige Rede bezeichnet man normgerechtes Sprechen und Aussprechen.
Im privaten Alltagsleben herrscht eine ungezwungene Sprechweise. Dabei werden die Vokale sogar in betonten Silben reduziert, die End- konsonanten fallen fort, einige Silben und Formwörter werden verschluckt. Dazu gehören auch das Auslassen ganzer Wörter, die sich durch die Sprechsituation erübrigen, schnelles Tempo, rasch wechseln- de melodische Intervalle u.a. Das alles macht die nachlässige Rede aus:
Xtiant („küss die Hand“). Merkmale der nachlässigen Rede:
1. Synkope – Ausfall eines unbetonten Vokals zwischen zwei Konsonanten im Wortinnern:
ew’ger (ewiger)
Gu’n Tag!
2. Apokope – Abfall eines Auslauts oder einer auslautenden Silbe:
hatt (hatte)
lang (lange)
Ich hab doch gesagt! Is nich wahr.
3. Aphärese – Wegfall eines Lautes oder einer Silbe am Wortanfang:
‘s (es).
4. Assimilation – Angleichung eines Konsonanten an einen anderen:
das b in mhd. lamb zu m in nhd. Lamm.
Dialektaler Anschlag der Rede – Aussprachebesonderheiten des jeweiligen Dialekts, dadurch wird das lokale und soziale Kolorit geschaffen.
Berlinerisch: „j“ statt „g“, „ee“ statt „ei“, „oo“ statt „au“ Ne jut jebrat’ne Jans is ne jute Jabe Jottes.
Arbeet, kleen, Ooge, loofen.
Kölsch: Vokalreichtum (z. B. [o] – lang geschlossen, lang offen, kurz geschlossen, kurz offen); „p“ statt „pf“; oft „j“, „r“, „ch“, „sch“ statt „g“ usw.
Pääd (Pferd), Pandhuus (Pfandhaus), Jeck (Geck), jon (gehen),
wääje (wegen), Maare (Magen), Wääch (Weg), versoresch (versorgt).
Um dem Leser die phonetischen Eigentümlichkeiten im Sprachporträt einer Figur anschaulich zu machen, greift der Autor zu graphischen Ersatzmitteln, meist zu einer ungewöhnlichen Rechtschreibung:
1. Die übermäßige Dehnung der Vokale als eine individuelle Besonderheit des Sprechenden wird durch ungewöhnliche Verdoppelung dargestellt:
Robert. Ja, vollauf wirklich! Ich saaage Ihnen Frau Büchner!
(G. Hauptmann. Das Friedensfest).
2. Das Stammeln wird durch Wiederholung der Konsonanten angedeutet:
Wilhelm. V-Vater? –Wie? – m... mit m... einem V...ater?
(Hauptmann).
3. Falsche Aussprache, wie etwa Entstellung von Fremdwörtern:
Oranscherie (Orangerie), Kusäng (Cousin)
oder auch von deutschen Wörtern benutzt man zu der psychologischen Charakteristik der handelnden Personen:
„Zo?“ sagten die Kusinen einstimmig... Sie sagten ‚zo’ mit einem
‚z’, was sich desto spitziger und ungläubiger ausnahm (Th. Mann. Buddenbrooks).
Die Tempoverlangsamung wird als Trennung der Silben durch Gedankenstriche dargestellt. Die Häufung von Pünktchen oder Gedankenstrichen deutet auf das Stocken im Ablauf der Rede, auf das Einschalten der Pausen:
Also sieben-und-sechzig.. Ein schönes Alter, Frau Hardekopf... Jäjäjä, heutzutage sterben die Menschen mit achtzehn und zwanzig... (W. Bredel. Die Väter).
Zu den Klangfiguren der neueren deutschen Sprache gehören:
Die Lautinstrumentierung (Lautmalerei, Tonmalerei) – die bewusste Verwendung von Lauten und Lautverbindungen als Stilmittel. Jede Nationalsprache bildet ihre besonderen Lautnachahmung- straditionen aus. Im Deutschen z. B. wird das Sausen und Heulen des Windes, das Rauschen des Wassers, das Zischen der Flamme gewöhnlich durch die Zischlaute [s], [z], [∫], [ts] und die Sonanten und [r] wiedergegeben. Die hohen Naturlaute werden meist mit den Vokalen der vorderen Reihe „i“, „ü“, „ei“, „e“ und die tiefen Naturlaute mit „u“ dargestellt:
- piepsen, singen, zwitschern, trillern (zur Wiedergabe der hohen Tier- und Vogelstimmen);
- muhen, brummen, glucksen, grunzen (zur Wiedergabe der tiefen Tier- und Vogelstimmen);
- Wenn jemand in die Pfütze fällt, so schreit man platschl.
In den Märchen der deutschen Romantiker wird Tonmalerei sehr häufig zur Namensgebung verwendet. Die handelnden Figuren erhalten Namen, deren Klang bestimmte Assoziationen mit Geräuschen aus Tier- und Menschenleben erweckt.
„Märchen von dem Schulmeister Klopfstock und seinen fünf Söhnen“:
- Der älteste Sohn hieß Gripsgraps und wurde Meisterdieb (grips- graps – ein Diebsrascheln);
- der zweite hieß Pitschpatsch und wurde Fährmann (pitsch- patsch – Geräusch der Ruder im Wasser);
- der dritte hieß Piffpaff und wurde Jäger (piff-paff – Laut der Schußdetonation);
- der vierte hieß Pinkepank und wurde Apotheker (pinke-pank – das Stoßen im Apothekermörser);
- der fünfte Sohn hieß Trilltrall und wurde Vogelsprachforscher und Einsiedler, der zusammen mit den Vögeln im Wald trillerte und trallerte (trill-trall – Klangnachahmung des Vogel- und Menschensangs).
1. Die Alliteration – der Gleichklang der anlautenden Konsonanten. Diese Erscheinung tritt in der Poesie wie auch in der Prosa auf, zu ihrer Funktion gehört die auffallende Unterstreichung einer inhaltlich oder gefühlsmäßig wichtigen Stelle bzw. die Wiedergabe der Ironie:
Milch macht müde Männer munter (Werbeslogan).
... überall Bäche mit Bouillon und Champagner, überall Bäume...
(H. Heine. Ideen. Das Buch Le Grand).
Die Alliteration zeigt sich als nationales Merkmal in alten Zwillingsformen:
über Stock und Stein, mit Mann und Maus, blass und bleich, dies und das.
2. Die Assonanz – der Gleichklang der an- oder inlautenden Vokale, gewöhnlich bei Verschiedenheit der Konsonanten. Die Assonanz dient der Ironiewiedergabe oder als ein akustisches Signal, um die Aufmerksamkeit besser auf den Inhalt zu konzentrieren:
...oder man tändelt und schäkert mit den lieben, zärtlichen Engelein…
(H. Heine. Ideen. Das Buch Le Grand).
Auch in den deutschen Zwillingsformen sind die Assonanzen zu finden:
ganz und gar, seit Jahr und Tag, in Acht und Bann.
Der (End)Reim ist die lautliche Übereinstimmung benachbarter Zeilenschlüsse vom letzten betonten Vokal an. Hier können durch verschiedene Reimarten und die Reimordnung manche Variationen ermöglicht werden, die in der Regel erst durch ihre kontrastierende Verwendung auffällig und besonders stilrelevant wird.
Die Kadenz – Abschluss eines Verses im Gedicht, meist Reimwort:
- einsilbige männliche stumpfe Kadenz (Baum – Traum);
- mehrsilbige weibliche klingende Kadenz (schwingen – singen).
Einige Reimarten:
1. Kreuzreim (abab):
Wo ich bin, mich rings umdunkelt Finsternis, so dumpf und dicht,
Seit mir nicht mehr leuchtend funkelt, Liebste, deiner Augen Licht (H. Heine).
2. Paarreim (aabb):
Es ist eine Linde im tiefen Tal, Ist oben breit und unten schmal. Darunter zwei Verliebte saßen,
Die Freud für Leid vergaßen (Volkslied).
3. Umarmender Reim (abba): Frühling lässt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte; Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land (E. Mörike. Er ist’s).
4. Verschränkter Reim (abcabc):
Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,
Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.
Drum birg dich Aug‘ dem Glanze irrd’scher Sonnen! Hüll‘ dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen
Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluten (K. v. Gün- derrode. Der Kuss im Traume).
5. Schüttelreim – doppelt reimender Paarreim mit scherzhafter Vertauschung der Anfangskonsonanten der am Reim beteiligten Wörter oder Silben:
Ich wünsche, dass mein Hühnengrab Ich später mal im Grünen hab.
Es klapperten die Klapperschlangen, bis ihre Klappern schlapper klangen.